Sunday, November 6, 2016

Frauen und Sprache

Statt eines Kommentars zum Artikel vom 10. September, 2014 über "Wahrnehmung von Frauen in der Sprache", sendet uns Anna Julia Kleinow folgenden spannenden Artikel. Vielen Dank dafür: 

"Frauen unsd Sprache"

Die Feststellung, dass Frauen in der Sprache nur unzulänglich berücksichtigt werden, zieht sich leider durch die meisten Religionen. Kleinere Übel wie „die Frau von…“  und „hat bei diesem und jenem Lehrer gelernt“ wechseln sich ab mit größeren, in traditionellen Schriften enthaltenen misogynen Aspekten. Da ebenso die meisten Religionen einhergehen mit patriarchalen Strukturen, die lange gewachsen sind, nehme ich an, dass ein Umschwung ebenso nur langsam vonstattengehen kann.
Die Debatten zum Thema Frauen in der Sprache sind ja gesellschaftlich, nicht nur in religiösen Kreisen unbedingt relevant und zeigen den Weg in eine richtige Richtung, aber wenn man schon in diese gerechte Richtung weist, gehört eigentlich dazu, für alle einzutreten: Was ist denn mit Transgender? Für mich hängt das definitiv zusammen. Sonst kommt es mir ein bisschen vor wie „Ich esse keine Tiere. Aber Fisch esse ich schon.“, was zwar ein guter Ansatz ist, aber nicht zu Ende gedacht. Sonst rutscht man gleich von einer Ungerechtigkeit in die nächste.
Also, die Frauendebatte erfordert auch immer gleichzeitig eine Transgenderdebatte, oder sogar eine genderfreie Debatte. Ich muss dabei an den Urteilsvierkant denken, den Nagarjuna so oft verwendet hat. Ich bin in philosophischer Denkweise nicht ausgebildet, aber mir ist hängengeblieben, dass man verschiedene Möglichkeiten in Betracht ziehen sollte, bevor man zu schnell urteilt. Heute geht man meist davon aus, dass sich jemand einordnet in das Konstrukt Frau oder Mann oder beides oder keines von beidem. Aber wer sag denn, dass es nicht Menschen gibt, die sich gar nicht einordnen lassen – also die weder Frau noch nicht Frau, weder Mann noch nicht Mann, weder beides oder keines, noch nicht beides oder keines sind oder sein mögen? Die mit dieser Zuordnung eines Menschen in eine Geschlechterkategorie einfach nichts anfangen können.
Um wieder zurück zu kommen und erst einmal an einem Ende (der Frau) anzufangen: Die Frage ist, ob es die deutsche Sprache überhaupt zulässt, alle zu jeder Zeit gleichwertig mit einzubeziehen ohne sich dermaßen zu verbiegen, dass sie überhaupt nicht mehr verständlich ist? In der Genderfrage gibt es ja schon so einiges an der Tagesordnung, was den Lesefluss und ehrlich gesagt auch die Schönheit der Sprache beeinträchtigt. Da lösen Binnenmajuskeln Binnen-Is ab, Gendersternchen Gendergaps, Schrägstriche Klammern…und das in jeder zweiten Zeile. „Zeug*e*in, Fahrradfahrer!n, PilotIn, Lehrer_in, Sprecher/-in, Käufer(in) …“ man kommt in solchen Sätzen kaum noch zum Lesen des eigentlichen Inhalts. Und die Männer stehen doch wieder an erster Stelle (FahrradfahrER*IN). Erst kommt immer der Fahrradfahrer, dann hinterher die Fahrradfahrerin. Diese Varianten sind sicherlich gut überlegt und eine Alternative, jedoch ist es dem Lesefluss wie gesagt nicht gerade zuträglich. Wenn man also mit diesen Majuskeln und Co. nicht zufrieden ist, bleiben immer noch eine der drei nächsten Varianten.
1. Frau/man erwähnt immer beide Geschlechter, wobei frau/man die Frau immer zuerst nennen kann: „Die Kassiererin oder der Kassierer hat, wenn die Schlange der Käuferinnen und Käufer zu lang wird und eine Kundin oder ein Kunde nach einer zweiten Kassiererin oder einem zweiten Kassierer fragt, die Pflicht, der Anfrage der Kundin oder des Kunden nachzukommen“.
Uff.  Das wird schon beim Schreiben langweilig.
2. Man benutzt Partizipien: Die Kassierenden, die Einkaufenden, die Lernenden usw. Klingt schön und ist nicht zu lang, hat aber zumindest den kleinen Nachteil, dass man auf einige Worte, die man eigentlich verwenden will, verzichten muss: Wie ist es mit  Kundin oder Kunde? Wird daraus Kundenen?….Man muss dann wieder ausweichen – auf die Kaufinteressierten um Beispiel. Aber eigentlich will man doch einfach nur Kundin und Kunde sagen. Außerdem wird diese Form des „Partizip-ierens“ auch lustig, wenn man sagen will „Die angekommenen Fahrerinnen und Fahrer essen ein Pausenbrot“ -> „Die angekommenen Fahrenden essen ein Pausenbrot“. Was ist denn hier los, entweder jemand fährt oder er ist angekommen, beides geht nicht. Das Partizip beschreibt ja immer etwas, das gerade aktuell ausgeführt wird.
3. Man benutzt (nach dem Vorschlag einer/s Berliner Professx vor ein paar Jahren) das genderfreie x: Kassierx, Verkäufx, Fahrradfahrx, Laix. Damit ist man jedenfalls auf der sicheren und kürzeren Seite. Dass damit aber die Sprache bis ins Unkenntliche verzerrt wird, so dass man beim Lesen nur noch kichern möchte, ist vielleicht nicht so produktiv. Außerdem würden wir dann alle zu Galliern, wie Asterix und Obelix.Hier noch einmal, weil´s so schön ist. „Die Kassiererin oder der Kassierer hat, wenn die Schlange der Käufer!nnen zu lang wird und ein/e Kund*in nach einer/einem zweiten Kassierer_in fragt, die Pflicht, der Anfrage des/der Kundx nachzukommen“.

Wenn man unter all diesem Sprachwust nicht untergeht, bleibt aber doch die wichtige Anfangsfrage nach der Benachteiligung bzw. der Gleichstellung der Frau in der Sprache. Dafür sind aufgeführte Mittel sicherlich schon ein guter Start und ein Erfolg in der feministischen Linguistik und der Genderdebatte. Wenn man sich für ein Mittel entscheidet und es in Texten konsequent benutzt, kann sich der Leser bestimmt auch recht schnell anpassen.
Aber all diese Dinge sind auch mit Vorsicht zu genießen, sonst kann bald keiner mehr lesen, was man eigentlich schreiben wollte.
Neben diesen Aspekten im Außen gehört aber auch ein innerer. Und der geht in die Richtung von Annahme dessen was war und von innerer Stärke. Die Benachteiligung von Frauen ist leider ein uraltes Phänomen und die meisten Religionsgründer waren nicht zufällig Männer. Aber nun weiß man es ja heute besser. Frauen und Männer sollten grundsätzlich absolut gleichwertig und gleichberechtigt sein. Und alle anderen auch. Dass es leider oft anders war und noch immer so ist, gehört aber ebenso zur Realität. Und da der Weg zur Besserung ein langer ist, nützt es bis dahin vielleicht, sich an die eigene Nase zu fassen. Es gehören ja schließlich immer zwei dazu. Ein Schreibender, der sich frauenbenachteiligend äußert und eine Lesende, die sich benachteiligt und persönlich betroffen fühlt. Wenn man aber der grundfesten Überzeugung ist, dass Frauen und Männer (und alle anderen) so und so absolut gleichwertig sind, braucht man sich eigentlich nicht getroffen zu fühlen, egal an welcher Stelle frau/man im Text steht. Dies wäre eine Idealvorstellung von innerer Überzeugung. In der Praxis mag es anders aussehen. Für den Anfang reicht es vielleicht, sich daran zu erinnern, dass Sprache so und so nur ein unzureichendes Werkzeug ist. Heinz von Förster und Friedemann Schulz von Thun beharrten immer wieder auf der Bedeutung des Empfängers einer Botschaft (Der Leser bestimmt den Inhalt mit usw.). Eine innere Transformation von Wertigkeitsgefühlen wäre erstrebenswert. Und das soll sich natürlich auch im Außen widerspiegeln. Aber wenn möglich mit Geduld und Beharrlichkeit und ohne unsere Sprache zu verwursten.


Anna Julia Kleinow